Spirituelles-Portal Impressum, Kontakt AT D Image Map

Keine Daten gefunden


Keine Daten gefunden
Kooperations-Partner
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Zitat des Tages
Sille Gautschi
Es kommt nicht auf die Hose an, sondern auf das Herz, das in ihr schlägt.


»Zitate suchen / selber eingeben

Mensch, werde wesentlich



Barack Obama
Beobachtungen und Gefühle während seiner Inauguration

Grad hab ich die Einweihungzeremonie von Barack Obama mir angesehen, auf CNN. Fast durchgehend O-Ton, ohne Kommentar, gut so. Die Inszenierung dieser Übergage: Toll, wie die Amis das machen. Hab weinen müssen, kam kaum mehr weg von meinem Taschentuch, weil ich Obama so sehr mag und ich Bush so verabscheue, und weil die Zeremonie einfach gut war; wo sieht man denn sonst schon so gut inszenierte Theateraufführungen? Und weil es mich mehr bewegt, wer da im Ami-Land an der Spitze steht als wer hier in Deutschland Kanzler ist. Spätestens seit Clintons Präsidentschaft ist das so. Ob hier Schröder oder Merkel regieren, ist mir, verglichen damit, relativ egal.

Identifikation mit dem Helden
Und dann diese Rede! Großartig. Aber zuerst die Einweihung, wo er sich verplapperte und dabei grinste – sehr sympathisch. Schon seit Tagen dachte ich immer mal wieder an seine Einweihung; ob ich es wohl ertragen könnte, dass man mir die Bibel hinhält für einen solchen Eid, und ob ich dann imstande wäre, diese Formel zu sprechen? Und dann verplapperte er sich bei dieser einfachen Formel! Er, der Jurist, der einst Verfassungsrecht gelehrt hat an der Uni Chicago. Da waren die Gefühle wohl doch so stark, auch bei ihm. Sehr menschlich. Und ich brauche mich nicht mehr ganz so zu schämen, dass ich bei alledem weinen muss. Seine Rede danach aber hielt er, 18 Minuten lang, frei und ohne einen Versprecher! Was für eine Identifikation mit der Botschaft! Sonst könnte er das ja nicht. Und wie viel poetischer war diese Rede als die der Poetin (Elisabeth xx, poet, so wurde sie vorgestellt). Man identifiziert sich mit so einem, klar doch. Das tue ich, und Millionen anderer tun es auch. Und schauen seine Frau und und seine Kinder an und fantasieren dabei ein bisschen, wie deren Familienleben wohl aussehen mag. Und sehen zu, wie er mit Bush umgeht, seinem Vorgänger, der an diesem Tag so grau aussieht und einem leid tut. Der unbeliebteste Präsident, den die USA je hatten, heißt es in den Medien. Na endlich! Zu seiner Wiederwahl aber haben sie ihn bejubelt, und ebenso bei seiner Aggression und seinem Triumph (»mission accomplished«) gegenüber dem Irak.

Der christliche Rahmen
Das Drumrum ist mir zu christlich-gottgläubig. Wer in den USA lebt und es dort zu etwas bringen will, muss wohl so sein. Obama trägt's mit Fassung. Oder glaubt er das wirklich? Man kann diese Religiosität ja auch metaphorisch nehmen, anscheinend kann er das. Wenn man dabei gegenüber den typischen Missbräuchen ein Auge zudrückt, kann man darin vielleicht sogar eine gewisse Transzendenz finden, Größe, Geborgenheit, auf jeden Fall etwas über das kleine Ich Hinausgehende. Der Pfarrer. der seine Einweihung einleitete, vertrat noch das alte Amerika, das Bush-Land, schien mir. Der danach Segnende, ein Schwarzer, hatte mehr Humor und Tiefe – und endete mit einem Witz über die Rollen der Rassen: Wie gut, in einer so pathetischen Zeremonie auch mal einen Witz zu hören.

Realismus und Hoffnung
Obama ist intelligent, sonst könnte er nicht so reden. Offenbar geht er gut mit Menschen um. Er scheint zielstrebig und versöhnlich zu sein; in der Wahl der Mittel kompromissbereit, aber nicht im Ziel. Er wird in dem Amt, das er nun antritt, aufgeweicht, vielleicht sogar korrumpiert werden von den Verführungen der Macht und dem Wunsch, es tausenden von Lobbyisten und hunderten von Fraktionen recht zu machen, vermute ich. Trotz seiner Intelligenz und seines Charismas wird er schon nach wenigen Monaten viele enttäuscht haben, denn die Aufgaben, die ihm die Bush-Regierung hinterlässt, sind kaum zu bewältigen. Wie er in seiner Rede das ansprach ohne zu beschönigen und dabei doch auf die Hoffnung setzte – großartig. Sein Optimismus ist erstmal getragen von der Tatsache, dass überhaupt einer wie er, ein Schwarzer, Sohn eines Einwanderers aus Kenia, in dieses Amt hat gewählt werden können. Aber dann kommen die Aufgaben: zwei Kriege, ein völlig ramponiertes Image der USA in der Welt und eine zugrunde gerichtete Wirtschaft, das sind nur die größten unter ihnen – vor allem die Wirtschaft.

Was wäre wenn ... ich Amerikaner wäre
Das alles wird ja schon ausführlich kommentiert an anderen Stellen und vielfach besser als ich es kann. Vermutlich ist es für meine Leser interessanter zu hören, warum die Einweihung eines amerikanischen Präsidenten mich so berührt, dass ich dabei weinen muss, mehr noch als die Leute dort auf den Straßen, die ja Amerikaner sind und direkt dabei waren. Auch Bill Clinton hat mich schon sehr mitgerissen, mehr als Schröder oder Merkel, wenn auch nicht so sehr wie jetzt Obama. Das hat nicht nur mit der Rolle der USA in der Welt zu tun und der Tatsache, dass ich mich mehr als Kosmopolit denn als Deutscher fühle, sondern auch mit Spezifika meiner Lebensgeschichte. An der Oberfläche liegt dort folgende Geschichte: Mein Vater erhielt 1960 als Biologe eine Berufung an die Universität von Kalifornien. Er verbrachte dort ein Jahr (in L.A.) als Gastprofessor und erhielt dann das Angebot einer Festanstellung. Sehr verlockend für einen Deutschen damals. Hätte er es angenommen, wäre ich mit meinen Eltern und Schwestern dort hingezogen und wäre möglicherweise als Rekrut nach Vietnam gekommen, denn in den heißesten Jahren des Vietnamkriegs war ich gerade 18, 19 Jahre alt. Meine Eltern hatten die Option der Einwanderung in die USA 1961 nicht angenommen, v.a. meine Mutter war dagegen. Dieses »was wäre gewesen, wenn« aber begleitete unsere Familie jahrelang.

Aus Scham auf der Flucht
Auf einer tieferen Schicht aber gibt es noch eine andere Geschichte. Ich bin ein »Vaterlandsflüchtling«, wie so viele Deutsche meiner Generation. Dass das so ist, weiß ich seit langem, und doch entdecke ich immer wieder neue Aspekte dieser – solcher – Flucht und ihrer Bedeutung für mich, meine Generation und mein Land. An der Wurzel liegt meine Scham, einem Volk anzugehören, das Hitler zur Macht verholfen hat, den zweiten Weltkrieg anzettelte und den Holocaust zu verantworten hat. Scham. Ich hätte es damals nicht so genannt, es war mir auch nicht richtig bewusst, es war nur so eine Ahnung. Meine Eltern schämten sich für ihre Unbewusstheit und ihr Mitläufertum, und ich als Kind trug diese Scham im Rahmen des Familiensystems weiter. Eine Geschichte aus dieser Zeit ist die, wie ich den Ort meines Auslandsaufenthalts in Frankreich wählte. Ich wollte weg von zuhause, weg von Deutschland, und zwar schon während meiner Schulzeit. Hierzu wählte ich u.a. einen Auslandsaufenthalt im benachbarten Frankreich und bekam im Zuge dieser Entscheidung die Wahl nach Nizza zu gehen oder nach Narbonne. Narbonne war tiefste Provinz, ich hatte nie zuvor von dem Ort gehört; Nizza war immerhin eine Art Welt(flair)stadt an der Côte d' Azur. Ich aber wählte Narbonne. Warum? Weil es weiter weg war.
Dann in Frankreich war ich nach einer Weile froh, nicht mehr Deutsch sprechen zu müssen. Meinen Wiedereintritt in die deutsche Sprachwelt im Zug von Paris nach München habe ich noch gut in Erinnerung. Es hatte etwas Bitteres. Das hängt sicherlich nicht nur mit Nazideutschland zusammen, sondern auch mit meiner Familie und der speziellen Enge, die ich dort empfand. Aber doch auch mit Hitler und dem Holocaust, denn meine Familie war, zumindest an der Oberfläche, sehr weltoffen und liberal und bot eigentlich keinen Grund für ungewöhnliche Gefühle von Enge.

Aufbruch in die Heimatlosigkeit
Trotz bester Chancen auf eine Wissenschaftslaufbahn habe ich nach vier Jahren die Uni verlassen und bin nach Asien getrampt – für ganz. So jedenfalls habe ich mich von Deutschland und Europa verabschiedet: Ich wollte, dass nichts mich mehr auf diffuse Weise würde hierher zurückziehen können, so wie 1971 ins Kathmandu, als eine Art von Heimweh nach Deutschland mich zurückkehren ließ; so ein Gefühl von verpassten Chancen, die ich dort in Deutschland hätte und doch noch ergreifen sollte. Diesmal wollte ich wirklich weg, ganz weg. Weg von meiner Kultur, meiner Herkunft, meiner psychosozialen Konditionierung; und so brach ich 1975 endlich ganz auf in die Heimatlosigkeit (am stärksten schließlich vollzogen dann 1976 im Buddhismus, im Pabbajja, meinem Eintritt ins Kloster). Wollte zunächst sogar diese Nazi-Sprache nicht mehr sprechen, sondern lieber Englisch oder Französisch; dann asiatische Sprachen, denn auch das Europäische schien mir noch zu eng.

Versöhnung mit der westlichen Kultur
Barack Obama versöhnt mich wieder ein bisschen mit dieser Westlichen Kultur, der ich so lange so tief misstraut habe. Die Nazigeschichte ist ja nur das eine, speziell deutsche Thema. Der Kolonialismus, der an der englischen und französischen Kultur hängt und an Europa als Ganzem, ist kaum ein leichteres Erbe und ebenso Grund für eine Identitätsflucht. Mag sein, dass andere Nationen nicht besser sind als die europäischen. Aber andere Kontinente waren friedlicher, wenn man auf die vergangenen fünf Jahrhunderte als Ganzes blickt. Europa war der aggressivste und arroganteste aller Kontinente; die Kolonialisierung ist das, was der heutigen Weltkarte die Grundstruktur gegeben hat, mehr als jede andere einzelne Ursache.
Obama tritt nun als afroamerikanischer Präsident in gewisser Hinsicht das Erbe Lincolns und der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung an, obwohl seine Vorfahren keine Sklaven waren (die von seiner Frau Michelle wahrscheinlich schon). Als solcher repräsentiert er nicht mehr die Arroganz der Weißen, die in Nordamerika die Indianer vernichtet haben und dann, im Zuge des amerikanischen Jahrhunderts (des 20.), sich zur alleinigen Weltmacht aufschwangen, gipfelnd im Sumpf des Irakkrieges (nach Vietnam, Afghanistan und tausenden anderer Akte imperialer Arroganz).

Massentrancen
Dabei bin ich mir bewusst, dass Akte wie die Einweihung des amerikanischen Präsidenten, ebenso wie der Empfang der Nationen bei den olympischen Spielen, sei es nun in Peking oder anderswo, mich als Zuschauer zum Teil einer Massentrance machen. Masse, das heißt, alle werden von denselben Nachrichten gefüttert, bekommen dieselben Bilder zu sehen, hören dieselben Kommentare und denken und fühlen dann auch mehrheitlich dasselbe. Solche Massentrancen führen zu Kriegen – sei es gegen andere Völker, Religionen, Rassen, Kulturen oder die Umwelt. Solche Trancen führen zur Ressourcenverschwendung, zur Überfischung der Meere, Verwüstung von Savannen, Klimaerwärmung, Vermüllung des Erdorbits, Abholzung der Regenwälder, Zerstörung der Korallenriffe, zum Aussterben von Tier- und Pflanzenarten und der Ignorierung oder gar Unterdrückung von Entwicklungen, die dem Einhalt bieten könnten und ermöglichen würden, dass der Mensch in seinem Biotop auf weniger zerstörerische Weise lebt als bisher.
Obama ist ein Erzeuger neuer Massentrancen – und ich lasse mich mitreißen. Hoffentlich mit einem Funken Bewusstsein dabei. Denn trotz allem Charme und Charisma kann ein einzelner, sogar an der Spitze dieses mächtigen Landes, dieses Dickschiff USA nur ein winziges Bisschen wenden. Die Erwartungen an ihn sind hoch; zu hoch, um nicht zu tiefen Enttäuschungen zu führen.

Aufklärung
Nochwas fiel mir hierbei auf: Die USA sind eine zivilreligiöse Kultur. Eine Trennung von Religion und Politik gibt es dort nicht wirklich, und das religiöse Element in der amerikanischen Kultur ist kein aufgeklärtes. Das hat auch diese Einweihungszeremonie exemplarisch gezeigt. In den USA wie auch anderswo ist die Politik halt nur ein bisschen diesseitiger als die Religion und die Religion nur ein bisschen jenseitiger als die Politik. Beide leben von Pomp, Glamour und Show, sie inszenieren Rituale, täuschen und verführen mit Sprache, klären auf und vernebeln wieder, lassen sich von der Hoffnung der Massen tragen und enttäuschen diese dann wieder, bis zur nächsten Revolution, zum nächsten Wahlkampf, zum nächsten Paradigmenwechsel. Religion und Politik völlig getrennt zu halten ist unmöglich und nicht einmal wünschenswert. Es sollte nur eine aufgeklärte Religiosität und Politik sein, in der die Befreiung aus Trancen, Illusionen, Massen- und Einzelhypnosen einen hohen Wert hat.
Freedom, liberty - Freiheit! Das war schon bei G. W. Bush ein so großes Wort und ist es nun auch in Obamas Rede wieder. Vielleicht ist es für die Amerikaner überhaupt das Schlüsselwort zu ihr Psyche – zu ihrer Begeister- und Verführbarkeit. Ich meine, es sollte auch die Freiheit von Massentrancen beinhalten, ja, die Befreiung von Trancen überhaupt.




Weitere Kolumnen von: Wolf Schneider


   



Weitere Kolumnen von: Wolf Schneider


Radio-Interview mit Wolf Schneider:
Teil 1 - Teil 2 - Teil 3 - Teil 4





Wolf Schneider

Wolf Schneider, Jahrgang 1952, studierte Naturwissenschaften und Philosophie in München. Schon während seines Studiums begab er sich auf Reisen. Die nächsten Jahre verbrachte er in Europa und Südasien, wo er ab 1976 als buddhistischer Mönch in Thailand lebte und von 1977-1990 Schüler von Osho war. Zurück in München gründete er 1985 die Zeitschrift connection, die noch heute als connection Spirit mit der Sonderheftreihe connection Special erscheint. Seinen 2005 gegründeten Verlag mit integrierter "Schule der Kommunikation" wandelte er Anfang 2008 erfolgreich in eine AG um. Im Connectionhaus veranstaltet er Jahrestrainings unter dem Motto: "Kreativität, Kommunikation und Inszenierung". Mit seiner offenen, ehrlichen und humorvollen Art zu kommunizieren, schenkte er uns ein wunderbares Theaterstück (Zauberkraft der Sprache) und zahlreiche Bücher, die uns Leser in eine spannende Welt der Spiritualität entführen. Sein neuestes Buch: "Das kleine Lexikon esoterischer Irrtümer" erscheint im August 2008 im Gütersloher Verlagshaus.



Zusätzliche Informationen:
» www.wolf-schneider.info

Weitere Texte von W. Schneider:
» www.schreibkunst.com


Connection AG
Wolf Schneider

»Info-Seite im Portal

www.connection.de
Impressum | Kontakt (Email) | Mediadaten | Suchmaschinenoptimierung | Datenschutz | Spirituelle-Anbieter