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Zitat des Tages
Sille Gautschi
Es kommt nicht auf die Hose an, sondern auf das Herz, das in ihr schlägt.


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Mensch, werde wesentlich



Mitten im Lärm der Welt
Sei still
Es war eine der wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben. In Bangkok war die Regenzeit zu Ende gegangen – traditionell gehen hier die jungen Männer, bevor sie einen Beruf ergreifen oder eine Familie gründen, für die Dauer einer Regenzeit (etwa drei Monate) ins Kloster. Ich war hier aber für mehr: In einem Kloster im Südosten des Landes war ich zum ersten Mal so richtig in Meditation eingetaucht.
Zwei Wochen lang schweigen, und jeden Tag nichts anderes tun als dasitzen und den Atem beobachten, im Wechsel mit achtsamem, langsamem Gehen. Tag für Tag und auch nachts: Achtsam sei der Mensch, bewusst! Und da ich diesen Weg ganz gehen wollte, ohne Rückhalte, Fluchten oder Kuschelnischen, war ich Mönch geworden in diesem Kloster mitten in Bangkok, das damals noch keine Megastadt war wie heute. Ich war 23 Jahre alt und entschieden: Das ist es! Kein Weg zurück, nie wieder weltliches Leben, nie wieder dieses Leid der Wiederkehr, das Elend Samsara, das endlose Rattenrennen.

Furcht vor dem profanen Leben
Nun aber war die Regenzeit zu Ende, und ich hatte das Kloster auch von seiner nicht so faszinierenden Seite kennengelernt: die Routinen, die sich da eingespielt hatten, die Verfilzung des Klerus mit der Politik, die tausend Kompromisse, die diese Mönche eingegangen waren, um Spiritualität mitten in der Gesellschaft leben zu können, und das in einer Großstadt. Es gab für die Mönche in der Stadt zwar die Möglichkeit in ein Waldkloster zu gehen, einige von uns taten das. Man erzählte wilde Geschichten von den dortigen Äbten, Erschreckendes, aber auch Anziehendes. Ich hatte keinen persönlichen Lehrer, nur Mitmönche, die mir Freunde geworden waren. Sollte ich in eines dieser Waldklöster gehen und würde dort vielleicht einen Lehrer finden? Oder sollte ich weiterreisen, so wie ich es vorher getan hatte, schon fast ein Jahr lang? Würde ich dann nicht wieder hin- und hergerissen, gebeutelt und zerzaust von dem, was wir hier im Kloster “das Weltliche” nannten? Hier hatten wir Ruhe: Wir brauchten kein Geld, alles Nötige wurde gegeben. Auch Sex gab es nicht, wodurch diese ganze, zeitraubende Beschäftigung mit Liebe, Sex und Beziehung wegfiel, auch das war sehr entspannend. Den ganzen Tag hatten wir Zeit zu meditieren und Achtsamkeit zu üben. Außer dem Fegen des Klosterhofs und dem Waschen der eigenen zwei Kleidungsstücke (von jedem hatten wir noch ein zweites, also insgesamt vier Stück) gab es nichts zu tun. Warum sollte ich diese Idylle verlassen? Würde mich der Trubel der Welt nicht wieder packen und hierhin und dorthin werfen, mal himmelhoch jauchzend, mal zu Tode betrübt?

Der Anspruch

Innerlich war mir die Entscheidung schon klar, auch wenn ich noch ein paar Wochen zögerte und auch nach Ablegen der Robe noch einige Zeit im Kloster blieb und auch dann noch ganz im Gehäuse der Regeln: nur vormittags essen; unter Menschen immer bei mir bleiben; den Atem beobachten, die eigenen Worte, die eigenen Bewegungen; keine Musik, kein Tanz, kein Kino; alles immer schön langsam tun, wir haben das ganze Leben lang Zeit. Mein Anspruch war hoch: Ich wollte die Stille aus dem Kloster mitnehmen, hinaus in die lärmende Welt und dort das Bewusstsein nicht verlieren, die Achtsamkeit, die Verbindung mit dem eigenen Atem! In der schützenden Hülle des Klosters hocken zu bleiben, behütet von den 229 Regeln, die wir Theravada-Mönche einzuhalten hatten, das wäre mir als feige erschienen. Dazu war ich nicht von Europa aufgebrochen und hatte dort alles hinter mir gelassen, um dann hier in einem goldenen Käfig zu verharren, der mich vor den Wirren und Unwettern der Welt beschützen würde. Nein, ich musste wieder hinaus. Und das tat ich nun ganz behutsam, wie in Zeitlupe.
Noch viele Wochen lang aß ich nur so wie die Mönche und schlief auf harten Bastmatten. Wenn ich auf den Markt ging, um Essen zu kaufen, nahm ich dafür nur zögerlich Geld in die Hand und gab es sehr bedacht aus; nicht wegwerfend, sondern hinsehend, wo es hingehen würde, an wen und für was. Als Mönche hatten wir Geld nicht einmal berühren dürfen, was immer wir brauchten, wurde uns gegeben; wenn etwas, das wir zu brauchen glaubten mal nicht kam, warteten wir einfach. Nun aber musste ich haushalten. Die Traveller Schecks, die die Zeit der Abgabe meines Reiserucksacks gut überstanden hatten, mussten nun für noch mindestens ein Jahr genug sein – ich hatte ja noch nicht einmal Indien erreicht, das eigentliche Ziel meiner Reise.

Musik, Tanz, Filme

Und dann kam wieder Musik in mein Leben! Als Mönche hatten keine Musik hören dürfen, auch nicht tanzen und keine Filme ansehen, es sei denn es wäre ein Film, der uns speziell den Dhamma nahe brächte, die Lehre Buddas, die ewige, transkulturelle Weisheit. Warum solch ein Verbot? Wie konnte es sein, dass der Buddha den ekstatischen Tanz nicht schätzte – oder kannte er ihn nicht? –, die berauschende, zu Tränen rührende Musik und dies alles seinen Mönchen deshalb verboten hatte? Was sollte daran so gefährlich sein? Ganz langsam packte ich meine Klarinette aus und streichelte sie erstmal eine Weile. So viele Monate lang hatte ich sie nicht mal mehr angesehen, geschweige denn darauf gespielt. Ich saß bei Frédéric in der Hütte, einer dieser Bretterhütten auf Stelzen über den Khlongs, den Wasserwegen des alten Bangkok. Frédéric war ein Reisender wie ich einst selbst und hatte den Platz gerade für ein paar Monate gemietet. Unter mir das Glucksen das Wassers, um mich die Geräusche aus den vielen anderen Hütten, wo Familien lebten. Ich zögerte. Warum hatte Buddha uns die Musik verboten? Was würde passieren, wenn ich mir doch wieder das Spielen erlaubte? Ganz langsam tastete ich mich an die Möglichkeit heran, diesem von mir so geliebten Instrument erneut Töne zu entlocken, Geräusche, die es dem Glucksen des Wassers und den Stimmen der uns umgebenden Familien hinzufügen würde. Dann wieder Stille. Ein Ton, und dann wieder das lange Atmen in die Stille hinein, die verwoben war mit allem anderen, mit den Geräuschen des quirligen Lebens um uns rum, des Menschenlebens auf der Erde, die wir so emsig, weitreichend und lärmend bevölkert haben, dass die Regionen, in denen es noch still ist, immer weiter schrumpften und dieses Schrumpfen immer schneller geschieht.

Die Mühlen des Alltags
Heute sitze ich in einem Büro, an einem Computer, und höre Straßengeräusche von draußen hereindringen. Ich habe einen Kalender zu führen, der viel mehr enthält als nur Tag und Nacht und eine Regenzeit, habe Termine einzuhalten, Geld zu verwalten, Aufwändungen zu kalkulieren und bei allem immer darauf zu achten: Was kommt dabei rum? Was ist der zu erwartende Ertrag? Lohnt es sich? Wie lange wird es dauern? Was sind dabei die Risiken? Alle Menschen um mich sind immer irgendwie beschäftigt, sogar die Arbeitslosen und die Rentner. Auch mit gerade in Rente Gegangenen oder Langzeitarbeitslosen mich zu verabreden ist kaum möglich, immer sind sie beschäftigt. Und wenn die Arbeitenden so klug sind, sich das Risiko ihres eigenen Burnouts einzugestehen, werden sie nicht einfach langsamer, sondern buchen einen Retreat an einem Ort, zu dem sie hinfliegen müssen und wo sie teuer gecoacht werden. Das alles muss organisiert werden, und das Geld dafür muss man verdienen, also weiter so, mit all den Routinen. Nicht nur die Produktion, auch die Erholung von der Produktion ist zu einer Industrie geworden: die Wellness-, Fitness- und Erholungsindustrie, Retreats inklusive. Wem in dieser Mühle ein einzelnes Retreat nicht reicht, der wird die Ausbildung zum Retreatleiter und Erholungscoach machen wollen, erst dann wird der Traum von der Erholung wahr werden – glauben wir, und rackern weiter.

In der Mitte des Sturms
Meiner Klarinette damals in der Hütte an den Khlongs von Thailand entlockte ich nur wenige Töne, sie sollten doch die Stille nicht stören und dem natürlich lärmenden Leben kein Kunstprodukt hinzufügen. Dieser Entscheidung des Ausstiegs aus dem Kloster folgte ein der inneren Stille gewidmetes Leben, dem Versuch, in all den lärmenden Stürmen die Mitte nicht zu verlieren. Dies ist mir nur mehr oder weniger gelungen, aber der Anspruch ist geblieben: Wie sehr es um mich auch tobt, immer möchte ich mir der Mitte bewusst bleiben, in der alles ruht. Ein Bewusstsein, dass es mitten im Sturm ein Zentrum gibt, in dem es still ist. Dabei den Atem nicht vergessen und den Tod. Nicht vergessen, dass alles endet, denn dass nichts bleibt ist tröstlich. Das Schöne bleibt nicht und das Hässliche auch nicht, dem Gewinnen folgt ein Verlieren, dem Aufstieg ein Abstieg, nur jenseits von alledem gibt es Ruhe. Dort einzukehren, darin einzugehen, dorthin nach Hause zu kommen, ist das einzige, was sich lohnt.

Shiva Nataraj
Nie vorher hatten Menschen so viele Optionen, Chancen und Gelegenheiten wie die Weltbürger von heute, allein bei der Partner- und Berufswahl, den Reisezielen und der Wahl des Wohnorts, mal abgesehen von den circa 300 Millionen Webseiten, die in Sekundenschnelle angeklickt werden können sowie einer Milliarde Facebook-Mitglieder, mit denen man ebenso schnell Kontakt aufnehmen und auch wieder abbrechen kann. Allein diese Anzahl von Möglichkeiten ist schwindelerregend. Für das Gefühl überfordert zu sein genügt allerdings schon weniger: Allein die Anzahl der Früchte, die sich in einem gut bestückten Supermarkt heute sogar im Winter dem Einkäufer bietet, kann schon eine Herausforderung sein.
Nie war unser Wissen größer, nie auch die Infoflut, der Datenmüll, das Gequassel und Phrasengedresche, die Berieselung mit Plattitüden und Kaufhausmusik, der Lärm der Welt. Darin gut auszuwählen was wesentlich ist, gehört heute mehr denn je zur Überlebenskunst. Das Fokussieren und sich entscheiden. Die Treue zum einmal Entschiedenen und die Offenheit in dieser Treue. Das Ruhen inmitten des Tanzes, Shivas Tanz – der Tanz von Shiva Nataraj, dem König der Tänzer. In diesem uralten Symbol des Hinduismus verkörpert Shiva in seinem Tanz inmitten eines Flammenkreises die ganze Welt und ruht dabei in sich. Mitten im Lärm kann ich in die Stille hineinhorchen, sie hat sich dort nur versteckt, so wie der Tod sich im Leben versteckt und das Scheitern in der Größe. Dort sein, unbewegt und voller Freude.
 




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Wolf Schneider

Wolf Schneider, Jahrgang 1952, studierte Naturwissenschaften und Philosophie in München. Schon während seines Studiums begab er sich auf Reisen. Die nächsten Jahre verbrachte er in Europa und Südasien, wo er ab 1976 als buddhistischer Mönch in Thailand lebte und von 1977-1990 Schüler von Osho war. Zurück in München gründete er 1985 die Zeitschrift connection, die noch heute als connection Spirit mit der Sonderheftreihe connection Special erscheint. Seinen 2005 gegründeten Verlag mit integrierter "Schule der Kommunikation" wandelte er Anfang 2008 erfolgreich in eine AG um. Im Connectionhaus veranstaltet er Jahrestrainings unter dem Motto: "Kreativität, Kommunikation und Inszenierung". Mit seiner offenen, ehrlichen und humorvollen Art zu kommunizieren, schenkte er uns ein wunderbares Theaterstück (Zauberkraft der Sprache) und zahlreiche Bücher, die uns Leser in eine spannende Welt der Spiritualität entführen. Sein neuestes Buch: "Das kleine Lexikon esoterischer Irrtümer" erscheint im August 2008 im Gütersloher Verlagshaus.



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