Mensch, werde wesentlich
Und jetzt bitte: Staunen!
Wir können so oder so reisen. Die eine Art ist typisch ist für den Massen- und Pauschaltourismus; da lassen wir die Eindrücke an uns vorüberziehen und kommen angefüllt damit – "bereichert" – zurück. Bei der anderen Art kommt nicht der zurück, der da einst ausgezogen ist in die Welt, und schon gar nicht beladen mit Eindrücken, sondern da kommen wir erleichtert zurück, ärmer, mit schlankerem Selbstverständnis, klüger, weiser. Bin das noch ich? Gute Frage. Wer nicht reist, um als ein anderer zurückzukommen, sollte daheim bleiben, die Natur wird es uns danken. Auch die so bereisten Kulturen würden sich bedanken, denn von den Massen der dickfelligen Gier- und Grapschtouristen profitieren sie nicht wirklich.
Das Leben selbst ist eine Reise. An ihrem Ende sind wir nicht mehr dieselben wie an ihrem Anfang, und jede einzelne Ortveränderung auf diesem Weg kann uns staunen lassen und öffnen für die Vielfalt dessen, was solch ein Erdenleben an Geheimnissen und Abenteuern birgt. Um das wertschätzen zu können, brauchen wir vor allem eine geschärfte, sensible Wahrnehmung und die Bereitschaft einzutauchen in den Fluss des Lebens, der ja nie derselbe ist. Auch dein eigenes Dorf bleibt nicht dasselbe, das Mietshaus, in dem du wohnst, deine eigene Familie – und manchmal geschieht das Abenteuer auch auf Ko Samui oder Hawaii nicht.
Am tiefsten erfahre ich das Reisen allein im fremden Land, außerhalb der Einhüllung und Einlullung der Kulturblase, in der man sich mit Mitreisenden meist bewegt. Am extremsten erfuhr ich es beim Trampen: Frei, verletzlich, mit minimalem Budget, ausgesetzt und ausgestellt tauchte ich hörend ein in neue Sprachen, wissbegierig, verständnisbereit, dann sprechend, und entdeckte mich dabei neu – sterbend und wiedergeboren als ein immer wieder anderer.
Der geldsystemgetriebene Wachstumsterror unserer Gesellschaft verlangt jedoch anderes. Er verleibt sich ein, was noch nicht kommerzialisiert ist und macht das Reisen so zum "Tourismus", das zum Bruttosozialprodukt etwas "beisteuern" soll. Reiseführer, papierne und lebendige, führen uns dabei auf vorgefertigten Routen, die zu wissen beanspruchen, was der Betrachtung wert ist und was was nicht, zum Schluss am Souveniershop vorbei. Sie vermitteln den von der Reiseindustrie Transportierten den systemkonformen Tunnelblick: Und jetzt bitte allem mal hierher schauen und staunen – das muss man doch gesehen haben! Solches Reisen ist wie Junkfood: Es lässt uns vollgestopft, aber hungrig zurück.
Wolf Schneider, Jg. 1952, Studium der Naturwissenschaften und der Philosophie (1971-75). Hrsg. der Zeitschrift connection seit 1985. Kontakt: schneider@connection.de, Blog: www.schreibkunst.com
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Radio-Interview mit Wolf Schneider:
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Wolf Schneider
Wolf Schneider, Jahrgang 1952, studierte Naturwissenschaften und Philosophie in München. Schon während seines Studiums begab er sich auf Reisen. Die nächsten Jahre verbrachte er in Europa und Südasien, wo er ab 1976 als buddhistischer Mönch in Thailand lebte und von 1977-1990 Schüler von Osho war. Zurück in München gründete er 1985 die Zeitschrift connection, die noch heute als connection Spirit mit der Sonderheftreihe connection Special erscheint. Seinen 2005 gegründeten Verlag mit integrierter "Schule der Kommunikation" wandelte er Anfang 2008 erfolgreich in eine AG um. Im Connectionhaus veranstaltet er Jahrestrainings unter dem Motto: "Kreativität, Kommunikation und Inszenierung". Mit seiner offenen, ehrlichen und humorvollen Art zu kommunizieren, schenkte er uns ein wunderbares Theaterstück (Zauberkraft der Sprache) und zahlreiche Bücher, die uns Leser in eine spannende Welt der Spiritualität entführen. Sein neuestes Buch: "Das kleine Lexikon esoterischer Irrtümer" erscheint im August 2008 im Gütersloher Verlagshaus.
Zusätzliche Informationen:
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