Mensch, werde wesentlich
Wann bekommen wir den
Schwarzgürtel auf dem Humorweg?
Was ist ein »spiritueller Weg«? Und warum überhaupt das Bewusstsein erweitern? Ist es denn so, wie es ist, nicht schon weit genug? Wenn in der Antike das Orakel von Delphi verlangte »Erkenne dich selbst« und den umstrittenen Sokrates zum weisesten unter den Lebenden ernannte, wussten diese Menschen mehr als man heute braucht, um einen Uni-Lehrstuhl zu ergattern, Minister zu werden oder CEO eines Global Player. Sie wussten das Wesentliche: dass Selbsterkenntnis das A und O aller Erkenntnis ist. Die Erkenntnis dessen, wer »Ich« bin – dieses mysteriöse Ich, das meine Handlungen zu steuern scheint.
Profane Wege
Um das zu erforschen, braucht man »Spiritualität« nicht, und schon gar nicht irgendeine Religion oder konfessionelle Zugehörigkeit. Es genügt die Bereitschaft zur ehrlichen, unvoreingenommenen Untersuchung. Wenn ich das tue, bin ich dann »auf einem spirituellen Weg«? Ja, so nennt man das wohl heute. Dabei an Spirits zu glauben ist aber eher ein Hindernis. Die Suche nach dem Verständnis von sich selbst, dem Subjekt meiner Gefühle, Gedanken und Handlungen, ist uralt und allen Kulturen eigen. Ob diese Praxis profan oder religiös genannt wird, ist egal, Atheisten suchen danach ebenso wie Gott- oder Geistergläubige. Es ist der Blick nach innen. Der Blick zurück, auf das Subjekt, der sich nun auf einmal nicht mehr, wie beim staunenden, die Welt entdeckenden Kind, nach außen richtet, sondern mit ebensolchem Forschergeist, nach innen wendet, um herauszufinden, wer da schaut, staunt und erlebt.
Von der Tragödie zur Komödie
Die Suche nach einem solchen praktischen, gangbaren Weg des Erlangens von geistiger Freiheit, Erkenntnis, Einsicht, Weisheit und Liebe, hat Generationen von Europäern nach Asien aufbrechen lassen. Sie gingen in die Berge des Sinai, in Karawansereien des Vorderen Orients, indische Ashrams oder tibetische Klöster bis hin zu den Zen-Tempeln Japans. Sie haben dabei übersehen, dass es auch in Europa eine große Weisheitstradition gibt – hier vor unserer Nase, mitten in unserer Gesellschaft. Und damit meine ich nicht die viel zu selten praktizierte christliche Kontemplation oder die paar europäischen Mysterienschulen, die es vereinzelt immer gegeben hat und auch heute noch gibt, sondern: den Humor. Die Praxis des Lachens, Lächelns oder Schmunzelns über sich selbst. Die Verwandlung der Heldenreise des eigenen Lebens, das, wie jede Tragödie, mit dem Tod des Helden endet, in eine Komödie, in der jedes Scheitern ein Erfolg ist – ein Lacherfolg. Und da, Hand aufs Herz, genau besehen das Scheitern viel häufiger passiert als das Gelingen, hätten wir damit einen Dreh gefunden, bei dem wir wir viel öfter Erfolg haben als beim Gewinnenwollen.
Humor als Allheilmittel
Die Entdeckung, Förderung und Entwicklung des eigenen Humors ist nicht nur heilsam und, wie wir eben anhand der größeren Erfolgsquote des Scheiternden gegenüber dem Gewinner gesehen haben, auch intelligent, sie ist außerdem ein Weisheitsweg und ein Weg der Transzendenz: Wer über sein eigenes Ende lachen kann, hat damit auch den Tod überwunden. Was noch?
Bevor der Humor damit als erfolgversprechendste unter den Allzweck-Methoden ins Guiness-Buch der Rekorde eingetragen wird, wünsche ich ihm einen Ehrenplatz wenigstens unter den spirituellen Wegen. Nicht mehr so oft beten müssen, nicht mehr so viele unbequeme Yoga-Asanas, und auch das so früh Aufstehen zu Stille-Meditation am Morgen, muss das denn sein? Können wir nicht einfach über uns selbst lachen? Leider nicht. Viele der spirituellen Praktiken sind dementsprechend genau deshalb gut, weil sie ihre Adepten auf die Fähigkeit, irgendwann über sich selbst und alles lachen zu können, systematisch vorbereiten. Und für die anderen gilt, dass sie ohne Humor praktiziert nichts taugen – und wenn man nur den Humor herausnimmt und alles andere weglässt, reicht das eigentlich auch schon. Ein Schwarzgürtel in Humor scheint mir folglich ein adäquates Pendant für die höchsten Weihen jeder anderen spirituellen Laufbahn zu sein oder diese sogar zu übertreffen.
Oder … nimmt mich hier eigentlich noch irgendwer ernst?
Wolf Schneider, Jg. 1952. Autor, Redakteur, Kursleiter. Studium der Naturwissenschaften und Philosophie (1971-75) in München. 1975-77 in Asien. 1985 Gründung der Zeitschrift connection. Seit 2008 Theaterspiel & Kabarett. Kontakt: schneider@connection.de. Blogs auf connection.de und auf schreibkunst.com
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Radio-Interview mit Wolf Schneider:
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Wolf Schneider
Wolf Schneider, Jahrgang 1952, studierte Naturwissenschaften und Philosophie in München. Schon während seines Studiums begab er sich auf Reisen. Die nächsten Jahre verbrachte er in Europa und Südasien, wo er ab 1976 als buddhistischer Mönch in Thailand lebte und von 1977-1990 Schüler von Osho war. Zurück in München gründete er 1985 die Zeitschrift connection, die noch heute als connection Spirit mit der Sonderheftreihe connection Special erscheint. Seinen 2005 gegründeten Verlag mit integrierter "Schule der Kommunikation" wandelte er Anfang 2008 erfolgreich in eine AG um. Im Connectionhaus veranstaltet er Jahrestrainings unter dem Motto: "Kreativität, Kommunikation und Inszenierung". Mit seiner offenen, ehrlichen und humorvollen Art zu kommunizieren, schenkte er uns ein wunderbares Theaterstück (Zauberkraft der Sprache) und zahlreiche Bücher, die uns Leser in eine spannende Welt der Spiritualität entführen. Sein neuestes Buch: "Das kleine Lexikon esoterischer Irrtümer" erscheint im August 2008 im Gütersloher Verlagshaus.
Zusätzliche Informationen:
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Connection AGWolf Schneider
»Info-Seite im Portal
www.connection.de
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