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Zitat des Tages
Sille Gautschi
Es kommt nicht auf die Hose an, sondern auf das Herz, das in ihr schlägt.


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Mensch, werde wesentlich



Das Rad des Werdens - Die Entwicklung der Liebe im Lauf eines individuellen Lebens

In Indien versteht man Zeit traditionell als etwas Zyklisches und visualisiert sie deshalb nicht als Linie, sondern als Rad – das »Rad des Werdens« (bhava chakra). So auch im indianischen Lebensrad, in dem der Osten Ältestenschaft und Tod bedeutet, aber auch Geburt und frühe Kindheit. So wie nach dem Winter der Frühling kommt und nach der Nacht der frühe Morgen, kommt so nach dem Alter die Kindheit? Im zerfurchten Gesicht eines Neugeborenen kommt es einem manchmal so vor
Bevor ich zum Thema »Liebe im Lauf des Lebens« komme, muss ich ein paar Takte über den inflationären Gebrauch dieses Wortes loswerden, das für uns doch das heiligste aller Gefühle ist. Über kein Wort wurde so maßlos viel geschwafelt wie über die Liebe. In keinem Roman und keinem Spielfilm darf sie fehlen, erst recht nicht in spirituellen und religiösen Predigten. Um da grad nur mal einen dieser Prediger herauszugreifen, der mit diesem Wort besonders ausgiebig und erfolgreich um sich wirft: »Es gibt nur eine Religion, die Religion der Liebe«, ist eines der berühmtesten Zitate von Satya Sai Baba aus Puttaparthi – er gilt als der im Westen beliebteste der indischen Gurus. Aber er ist ein Päderast, er trickst mit hervorgezauberten Gegenständen, damit die Leute ihn für ein übernatürliches Wesen halten, und seine Organisation besticht indische Beamte. Ist das eine Religion der Liebe?
Missbrauch
Dabei ist es wahr, was Sai Baba da über die Religion sagt! Das ist das Verflixte daran. Wer die Liebe hat, der braucht nichts anderes mehr, auch keine Religion. Sai Baba aber benutzt diese Worte, wie so viele andere auch – mehr oder weniger wir alle, – um damit Irdisches zu bezwecken. Je begehrter etwas ist, umso leichter lässt es sich missbrauchen, und umso mehr wird damit gelogen. Nur zu verständlich, dass die alten Israeliten deshalb den Namen ihres Gottes (Jahve) nur mit Ehrfurcht auszusprechen beabsichtigten. (Haben sie denn nie geflucht? Leider sind Audiotapes aus dieser Zeit nicht mehr aufzutreiben). Sie vermieden die Nennung dieses heiligen Wortes, heißt es, manchmal sagten sie nur »der Lebendige«, »der Name« oder (öfters) »der Herr«, und sie machten sich ein Gesetz: »Du sollst den Namen des Herrn deines Gottes nicht missbrauchen« und »Du solltest dir kein Bild von ihm machen«.
Dieses Bilderverbot bewachen die Fundamentalisten unter den Moslems heute noch sehr streng. So verständlich es ist, das Heilige vor Missbrauch schützen zu wollen – die Anwendung solcher Gesetze, die vor solchem Missbrauch schützen sollen, ist in den meisten Fällen wieder ein Missbrauch und zwar ein schlimmerer. Auch in unserer heutigen Kommerz-Gesellschaft wird kaum einer McDonalds daran hindern wollen »I love it« zum Werbeslogan zu machen, auch wenn das, was dort den Kindern angeboten wird, sie krank macht.
Kinderliebe
Das Allerheiligste, die Liebe, tritt in unserem Leben als erstes bei der Zuwendung auf, die wir von unseren Eltern erfahren. Die lieben uns, auch wenn wir als Kinder ausgiebig geschrieen und sie genervt haben.
So sind wir Menschen eben emotional gebaut: Kinder sind süß (meistens…), wir haben das Bedürfnis sie zu schützen, zu versorgen, zu knuddeln, wir lieben sie. Lieben sie uns? Da müssen wir schon etwas genauer werden mit dem Begriff. Kinder, die nicht erreichen, was sie wollen, können in Sekundenschnelle extrem wütend werden. Sie achten nicht auf meine Bedürfnisse, sie setzen die ihren durch. Ist das Liebe? Nicht im üblichen Sinn. Ihre Spontaneität, ihr Vertrauen und die Direktheit ihrer Zuwendung erweichen jedoch jeden Erwachsenen, der nicht völlig verbittert ist, und bewirken ein Gefühl, mit der eigenen Liebe nur die des Kindes zu »erwidern« – also ist es doch Liebe, auch von Seiten des Kindes.
Ein Kind schützen zu wollen, ja zu müssen, zumal das eigene, ist wohl das stärkste aller Liebesgefühle, stärker noch als das sexuelle Begehren und der Wunsch nach Hingabe. Und vom Kind aus ist die Zuwendung an die Eltern oder Betreuer eine totale, auch wenn es mehr ein Brauchen ist als ein Lieben im engeren Sinne.
Jugend
Ab der Pubertät kommt dann eine andere Liebe auf den Plan: die romantische. Vielleicht kann man diese auch als die Oberfläche der sexuellen bezeichnen, denn bei völliger sexueller Befriedigung lässt die Romantik stark nach – sexuell erfüllte Menschen sind glücklich, aber nicht mehr so sehnsuchtsvoll.
Die Jugendliebe ist erotischer als die Kinderliebe (sowohl auf Seiten der Erwachsenen wie auch der der Kinder) es ist. Sie ist verträumter und weniger alltagsbezogen. In ihren Höhepunkten erscheint sie als noch mächtiger, ist jedoch instabiler als die Liebe zwischen Eltern und Kindern. Seit es Kunst und Literatur gibt, ist sie der Stoff von Erzählungen, Romanen, Theaterstücken und Spielfilmen, mehr als jedes andere Thema, oder gleichauf mit der Bedrohung durch Konflikte, Kriege, Krankheit, Tod. Liebe und Angst sind die beiden großen Gegenpole unseres Lebens. Sie gehören zusammen, denn wir haben Angst, die Liebe nicht zu erringen, Geliebte/s zu verlieren, im Liebeswerben drohen wir und werden bedroht, und wenn wir von einer großen Liebe verlassen werden, möchten wir lieber sterben.
In den Romanen und Spielfilmen kommt vor allem die erotische und romantische Liebe vor und zwar die, bevor sich das Paar gefunden hat. Die Zeit danach ist nämlich viel langweiliger und in den meisten Fällen, was die Romantik anbelangt, sehr enttäuschend. Es gibt Liebe jedoch auch außerhalb des siebten Himmels – in allen anderen Himmeln gibt es sie und auch auf der Erde. Sogar in der Hölle gibt es sie, dort ist sie sogar noch wichtiger, denn im Himmel schafft man es auch allein, glücklich zu sein. Vor allem in den Niederungen und Höllen unseres Lebens brauchen wir die Liebe unserer Mitmenschen, ihren Goodwill, ihre Zuwendung, ihr Mitgefühl.
Erwachsen sein
Ach, die Jugend zieht sich hinein ins Erwachsenenalter, heute mehr denn je, da das Jungsein angebetet wird auch noch von 50-, 60-, 70-Jährigen. Aber auch vor der Zeit dieser Jungsein-Mode verfolgten romantische Gefühle uns das ganze Leben lang, obwohl sie in ihrer Amplitude im Lauf der Zeit etwas abklingen, das »himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt« geht dann nur noch bis zur Höhe der fünften oder siebten Wolke und in der Tiefe nur noch bis ins Fegefeuer, nicht mehr in die Hölle. Man lernt eben auch ein bisschen – manchen unter uns jedenfalls glückt das, habe ich gehört.
Zudem beginnt hier eine Entwicklung, in der »das Geben seliger als das Nehmen« wird, wenigstens tendenziell. Es beglückt, beglücken zu können. Nur als Nehmender, Bedürftiger zu leben, empfindet man mit zunehmendem Alter und zunehmender Reife als immer weniger glückbringend.
Auch wirtschaftlich gesehen ist diese Zeit eine des Gebens. Als Kinder brauchen wir, eher als dass wir lieben, ebenso als Alte und Pflegebedürftige. Nur in der Mitte des Leben können wir erwirtschaften, was Kinder und Alte brauchen, und so wenden wir uns hier der Arbeit zu, von der der libanesische Dichter Kahlil Gibran sagte, sie sei »sichtbar gemachte Liebe«. Und weil diese Art des Gebens glücklich macht, sind Arbeitslose eher unglücklich, auch dann, wenn sie keine Not leiden. Obwohl sie doch so viel Zeit zur Verfügung haben! Zeit, das Luxusgut unserer Zeit. »Ich schenke dir meine Zeit« ist deshalb für den Gestressten von heute oft die höchste aller Liebeserklärungen.
Das Alter
Wenn die Kraft, unermüdlich arbeiten zu können, nachlässt und körperliche Schwächen und Gebrechen zunehmen, das ist die Zeit des Alters. Man liebt immer noch stark und auch erotisch – die Theorien der Anthroposophen und anderer über das starke Nachlassen des Eros im Alter kann ich nicht bestätigen. Aber die Art der Liebe ist nun ruhiger, sie hat mehr Kontinuität, und es kommt nun mehr das auf, was Erikson Generativität nannte: »die Liebe in die Zukunft tragen und sich um zukünftige Generationen kümmern«. Das erreicht man nicht nur durch Fürsorge für eigene Nachkommen, sondern auch durch Unterrichten, soziales Engagement, Kunst und Wissenschaft.
Das Leben ist ein langes oder schnelles Zugehen auf den Tod. Im fortgeschrittenen Lebensalter wird uns das bewusster, deshalb wird uns in dieser Zeit auch das »Sterben vor dem Sterben« bewusster. Unsere Hingabe wird tiefer, das Streben nach Transzendenz spielt nun eine größere Rolle. Wenn wir dann nicht »in den Stiefeln sterben« sollten, wie viele es sich wünschen, sondern pflegebedürftig werden oder dement, dann brauchen wir vielleicht wieder Windeln und müssen gefüttert werden so wie Kinder – der Kreis schließt sich, und das Rad dreht sich weiter.
In den vier Lebensphasen des klassischen Hinduismus ist die vierte die des Vanaprastha, des in der Waldeinsamkeit Lebenden – nach dem Kind, dem nach der Hindu-Lehre sexuell abstinent lebenden Jugendlichen & Lernenden (Brahmacarya) und dem Haushälter (Grihastha). Wobei der traditionelle spirituelle Weg (Sannyasa) das Stadium des Haushälters überspringt, oder eben erst im Alter beginnt.
Ausweitung des Mitgefühls
In der Entwicklung der Liebe im Lauf des individuellen Lebens kann neben der Hinwendung zur Transzendenz noch eine andere Ausweitung geschehen: die des Mitgefühls. Diese setzt oft auch schon früh ein – beim mir führte sie im Alter 17 zur intensiven Beschäftigung mit Philosophie und mit 24 zur Entscheidung für den Vegetarismus, von denen ich die zweite seither nie bedauert und sie auch nie revidiert habe. Für mich war diese Ausweitung auf das Mitfühlen mit Tieren eine Folge und Begleiterscheinung meiner mystischen Erfahrungen.
Das Prinzip dieser Ausweitung ist einfach: Mitfühlende Liebe empfinde ich zunächst für mich selbst, für das, was ich von mir kenne (es für alle Teile von mir zu empfinden ist im typischen Fall ein weiter Weg – der spirituelle Weg eben). Dann für meine Geschwister, Eltern, Familie, sie sind »meinesgleichen«. Für meine Geliebten, meine Freunde. Für die in meinem Dorf, meiner Stadt, meinem Land Wohnenden, meine Sprache Sprechenden, meine Branche oder mein Geschlecht, die mir ähnlichen Mitmenschen. Dann für alle Menschen. Dann für alle Lebewesen. Dann für die ganze Welt: Auch das bin ich – die Erfahrung der mystischen Einheit.
Die Gestalt erkennen
Auf meinem Lebensweg hat es eine spezielle Entwicklung gegeben, die mit der Arbeit zu tun hat, die ich mir gewählt habe – der Arbeit mit Sprache, mit Texten. Für andere (Werktätige, Künstler) mag es entsprechend das ihnen eigene Betätigungsfeld sein. Das »Bodyreading« ist mir noch aus meiner Zeit als Therapeut und Bodyworker bekannt: Da schaut man sich die Haltung und Struktur eines Körpers an und zieht daraus Rückschlüsse, was für ein Mensch das ist. Noch ergiebiger und erhellender ist für mich jedoch das »Textreading«. Damit meine ich nicht bloß das normale Lesen und Verstehen eines Textes, sondern mehr: das Erkennen des Charakters eines Textes – in gewisser Hinsicht den seines Schreibers. So wie ein Bodyworker aus der Körperhaltung eines Menschen »liest« und ein Graphologe aus der Handschrift, so »lese« ich aus Wortwahl und Stil der Texte, die mir seit 26 Jahren zur Beurteilung und Bearbeitung zugeschickt werden. In der Regel mehrere pro Tag. Insgesamt vielleicht zehn oder zwanzig tausend Texte waren das, von denen ich ein paar tausend als Redakteur bearbeitet habe.
Echter werden
Hier setzt nun eine Art der Liebe an, die ein Erkennen braucht, wie jede Liebe. Den Text, an dem ich arbeite, muss ich zunächst mal in dem erkennen, was er sagen will. Dann erst wage ich es, ihn zu verändern. Den Partner »auf dem zweiten Bildungsweg« verändern zu wollen, ist eine der Hauptsünden, die man in einer Liebesbeziehung begehen kann. Ich aber maße mir an, deinen Text zu verändern, in dem du dich doch so zeigst, wie du gesehen werden willst? Neben dem, dass ein Text auch sachliche Kriterien zu erfüllen hat (Wahrheit, Themenbezogenheit, Kompaktheit, innere Logik) gibt es auch immer diesen persönlichen Aspekt, den jedes Kunstwerk hat: Der Künstler zeigt sich darin, und er will damit verstanden, wahrgenommen, geliebt werden.
Ich aber verändere Texte und beanspruche, dass in dieser Veränderung eine Art von Liebe zum Tragen kommt – oder eben fehlt, wenn ich den Text nicht in seinem Wesen erkenne und die Bearbeitung deshalb scheitert. Das Ändern ist für manche Schreiber schon mal der erste Frevel: Wer liebt, der akzeptiert, nimmt hin, ändert nicht, sagen sie. Ich aber will aus einem mir zugeschickten Text einen besseren machen – nicht weil ich in meinem Wahn meine, »es besser zu wissen« oder gar besser zu sein, sondern weil ich als geübter Handwerker das aus dem Text herausholen kann, was er geworden wäre, wenn der Schreiber das handwerkliche Können dazu gehabt hätte. So ähnlich wie ein Bodyworker oder Psychotherapeut (warum nicht auch: ein Friseur). Die wollen ja auch nicht aus ihren Klienten andere machen, sondern ihnen helfen mehr sie selbst zu sein – echter zu werden.
Bewerten
So hat sich auf meinem Lebensweg eine Ausweitung der Liebe auch in der Hinsicht ergeben, dass das Nicht-mehr-Werten-Wollen aufgehört hat, das für so viele Anfänger auf dem spirituellen Weg ein hohes Ziel ist. Ein legitimes hohes Ziel – für den Anfang. Ich aber will nun wieder bewerten. Für die, denen der »Sprung auf die Metaebene« was sagt: Ich habe aufgehört, das Bewerten zu bewerten, ich kann es nun gut akzeptieren, ja wertschätzen. Ich wende es an. Ich versuche, es gut anzuwenden. Bei mir hat sich die Akzeptanz des Bewertens (und damit des Egos) mit dem Älterwerden ergeben. Und es ist dies nur eine Art, diese Entwicklung zu beschreiben. Die Bilder der »Ten Bulls« (zehn Büffel) aus dem Zen-Buddhismus sind eine andere, die sich dem ebenfalls annähert: Auf diesen Bildern reitet man schließlich den Büffel (der Erleuchtung, der Erkenntnis) heim, kehrt auf den Marktplatz zurück und wird wieder ganz normal.
So hat sich für mich auch ein neues Verhältnis zur Spiritualität ergeben. Wenn mir heute eine Behörde einen Fragebogen hinhalten würde, wo ich ankreuzen müsste, ob ich spirituell bin (so wie ich dort schon immer »konfessionslos« angekreuzt habe, obwohl ich doch ein starker Bekenner bin), wüsste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich meide das Wort Spirtualität auch sonst, so gut es eben geht. Und was ist mit dem Wort »Liebe«? Und dem »Herzen«?
»Mit herzlichem Gruß«
Als ich vor etwa dreißig Jahren ein paar Jahre lang Schreibabstinenz praktizierte – damals um transverbaler, spiritueller zu werden – erlaubte ich mir nur eine Ausnahme: Liebesbriefe zu schreiben. Sonst kein Schreiben, kein Tagebuch, nichts. Und wie unterschrieb ich diese Briefe? Mit »love«. Das war damals in Sannyaskreisen so üblich. Meinte ich, meinten wir das auch wirklich so? So weit man solches ernsthaft meinen kann: ja.
Als ich dann später auch andere Briefe und Briefchen schrieb, Kurznotizen und Memos, auch schon in meiner Zeit als Verleger, Redakteur, Autor, war mein Unterschriftkürzel ein Herzchen. Für einige, die mich in der Zeit kannten, war ich der Romantiker par excellence, der Herzenstyp (im Gegensatz zu den »Verkopften«). Heute kräuseln sich mir bei solcher »Herzlichkeit« ein paar Nackenhaare. Wenn ich heute einen Brief schreibe (natürlich per E-mail, wie sonst) und dabei von der Formel »mit freundlichem Gruß« zum »herzlichen Gruß« übergehe, überlege ich mir jedes Mal: Meine ich das jetzt? Ist das echt? Und traue mich auch grußlos zu sein (nur der Name, ein Namenskürzel, oder sogar ohne Unterschrift). Bin ich deshalb heute weniger herzlich als damals? Nein, nur anders. Weniger auffällig.
Religiöser Kitsch
Ich habe heute auch ein anderes Verhältnis zu religiösem Kitsch. Überhaupt war mir der Begriff des Kitsches in den frühen Jahren meiner Liebesentwicklung noch nicht so geläufig. Die Poesiealben pubertierender Mädchen gelten ja als Inbegriff von Kitsch – Liebeskitsch, Einsamkeitskitsch. Jungs haben hierzu übrigens nicht weniger starke Gefühle, sie sprechen nur seltener darüber. Und so wie es Liebeskitsch gibt, so gibt es auch religiösen Kitsch, zumal dann, wenn »es nur eine Religion gibt, die Religion der Liebe«. Dann trifft der Liebeskitsch auf den religiösen Kitsch und produziert Herzchen, Engel und süße Lieder ohne Ende – was dann in ihrer spirituellen und menschlichen Entwicklung, also auch Liebes-Entwicklung »Erwachsene« dazu bringt, Esos und Spiris pauschal als Spinner und Träumer abzuqualifizieren. So blöd, wie sie diesen (vermeintlich) Erwachsenen erscheinen, sind diese spirituellen Schwärmer aber nicht. Sie sind nur in einer anderen Phase ihrer Entwicklung, wie ja auch der Honeymoon eine andere Phase in der Liebesentwicklung ist als der Alltag, der danach folgt.
Zen-Geist, Anfänger-Geist
Unter den Pflanzen gibt es überwinternde, so wie die Bäume, die viele Jahre alt werden können. Und es gibt die Einjährigen, die im Herbst sterben und nur einen Samen oder eine Knolle hinterlassen, aus der dann im Frühjahr die neue Pflanze entsteht. Wenn das indianische Lebensrad, in dem die Himmelsrichtungen den Lebensaltern entsprechen, dem Osten Ältestenschaft und Tod zuordnet, zugleich aber auch Geburt und frühe Kindheit, dann ist das wie der Winter und das Frühjahr zugleich für eine der einjährigen Pflanzen.
Auch wir Menschen geben Samen, zeugen und gebären Kinder und ziehen sie auf. Wir hinterlassen Ideen und Projekte, die andere dann fortführen. Gute Ideen und Projekte, aber auch zerstörerische. Wenn wir neben dem Linearen (»Es geht immer weiter«) auch das Zyklische (»Alles kehrt wieder«) im Auge behalten können, dann fällt es uns leichter, im Winter schon das Frühjahr zu spüren und im Alter unsere Kindlichkeit zu akzeptieren. Dann verhalten wir uns verantwortlicher gegenüber denen, die nach uns kommen, und verstehen, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern nur ein Ende.

Die Entwicklung der Identität nach Erikson
1. Das erste Lebensjahr: Urvertrauen – Ur-Misstrauen
2. Zweites bis drittes Lebensjahr: Autonomie – Scham & Zweifel
3. Viertes bis sechstes Lebensjahr: Initiative – Schuldgefühl
4. Sechstes Lebensjahr bis zur Pubertät: (bei Freud: Latenzzeit) Werksinn – Minderwertigkeitsgefühl
5. Jugend, Pubertät, Adoleszenz: Identität & Ablehnung – Identitätsdiffusion
6. Frühes Erwachsenenalter: Genitalität; Intimität & Solidarität – Isolierung
7. Erwachsenenalter: Generativität – Selbstabsorption
8. Reifes Erwachsenenalter: Integrität – Verzweiflung
 
Wolf Schneider, Jg. 1952, Studium der Lebenskunst seitdem. Hrsg. der Zeitschrift connection seit 1985. 2005 Gründung der »Schule der Kommunikation«. Kontakt: schneider@connection.de, Blog: www.schreibkunst.com
 




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Wolf Schneider

Wolf Schneider, Jahrgang 1952, studierte Naturwissenschaften und Philosophie in München. Schon während seines Studiums begab er sich auf Reisen. Die nächsten Jahre verbrachte er in Europa und Südasien, wo er ab 1976 als buddhistischer Mönch in Thailand lebte und von 1977-1990 Schüler von Osho war. Zurück in München gründete er 1985 die Zeitschrift connection, die noch heute als connection Spirit mit der Sonderheftreihe connection Special erscheint. Seinen 2005 gegründeten Verlag mit integrierter "Schule der Kommunikation" wandelte er Anfang 2008 erfolgreich in eine AG um. Im Connectionhaus veranstaltet er Jahrestrainings unter dem Motto: "Kreativität, Kommunikation und Inszenierung". Mit seiner offenen, ehrlichen und humorvollen Art zu kommunizieren, schenkte er uns ein wunderbares Theaterstück (Zauberkraft der Sprache) und zahlreiche Bücher, die uns Leser in eine spannende Welt der Spiritualität entführen. Sein neuestes Buch: "Das kleine Lexikon esoterischer Irrtümer" erscheint im August 2008 im Gütersloher Verlagshaus.



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