Mensch, werde wesentlich
Was können wir tun?
Der kleine Einzelne und das große Ganze - (Teil 1)
Wer bin ich überhaupt, und was kann ich als solcher bewirken angesichts unserer verwundeten Erde? Im Stamm oder Dorf von einst war das noch keine so brennende Frage. Da waren unsere Rollen und Wirkungskreise vorgegeben, und die Antwort war damals leichter selbst zu finden. Heute schwankt unser Selbstwertgefühl zwischen Verzweiflung und Größenwahn – und muss sich doch konkret entscheiden
Ich schreibe dies auf La Palma, einer kleinen Insel im Atlantik, die geografisch zu Afrika gehört, politisch zu Spanien und damit zur EU. Sie ist erst vor circa zwei Millionen Jahren hier aufgetaucht, deshalb gab es hier keine Säugetiere, ehe Menschen hierher kamen, was etwa 2000 Jahre her ist. Vor gut 500 Jahren kamen die Spanier, eroberten alle sieben kanarischen Inseln, eine nach der anderen, töteten oder versklavten die Einwohner (die Benahoaritas), vermischten sich mit dem Rest und eroberten dann in ähnlich brutaler Weise von hier aus den südlichen Teil der Neuen Welt, den Kolumbus erst für die Ostseite von Indien hielt – deshalb der Name »Indianer« für deren Ureinwohner.
La Palma ist kaum so groß wie der deutsche Landkreis, aus dem ich komme – Mühldorf am Inn. Der hat 800 qkm Fläche, La Palma 700, und auch die Bevölkerungszahlen sind von ähnlicher Größe (dort 107.000, auf La Palma 86.000). Hier spricht man Spanisch, dort Deutsch. Beides sind EU-Regionen. Seit ein paar Jahren bin ich im Winter gerne hier, und immer mehr stecke ich meine Nase auch in die Ökologie, Ökonomie und Politik dieser kleinen Insel. Und staune.
Der schwarze Lemming
Weil diese Insel so überschaubar klein ist und ich hier auf den Straßen immer wieder dieselben Leute treffe, denke ich: Wir können doch etwas tun! Eine kleine Gemeinschaft kann man vielleicht noch gestalten, aber das Erdschiff? Was kann ein einzelner denn tun? In einer kleinen Gruppe Einigkeit zu erzielen ist schon schwierig genug, wie viel mehr unter sieben Milliarden. Ich kann mich vegan ernähren, meinen Müll trennen, die Suchmaschine ecosia.com nutzen statt Google und mit dem Fahrrad statt Auto meine lokalen Erledigungen machen. Ich kann Plastikverpackungen meiden und Bio-Produkte einkaufen, die möglichst auch noch fair gehandelt sein sollten. Und sonst? In meiner nahen Umgebung kann ich – und kann jeder von euch – für eine andere Lebensweise werben. Mit einer Zeitschrift wie dieser (Connection spirit) hier kann ich noch ein bisschen mehr bewirken – und ihr ebenso, wenn ihr mir gute Artikel und Leserbriefe hierzu schickt – wir erreichen damit vielleicht 10.000 Menschen. Und dann? Bleibt immer noch das Gefühl als ein Einzelner (oder kleine Gruppe) in einer sehr großen Menge von Lemmingen sehr wenig ausrichten zu können.
Apokalyptische Befürchtungen
Dabei bin ich kein Apokalyptiker. Der Rummel um 2012 und die Prophezeiungen des Maya-Kalenders reizten bei mir eher die Lachmuskeln als Endzeitgefühle. Der Hang zur Apokalypse ist eine psychische Disposition, die Individuen, Gruppen, ganze Kulturen erfassen kann. Jesu Zeiten waren Hochzeiten für Endzeitprediger, er war einer von ihnen. Die in solchen Prophezeiungen geäußerten Befürchtungen haben meist mehr mit dem Inneren der Befürchter zu tun als mit den Umständen der Außenwelt. Auch wenn die römische Herrschaft durchaus eine reale Bedrohung war für die damaligen Juden von Jerusalem.
Heute ist es jedoch tatsächlich so, dass die Welt von sehr vielen Menschen bevölkert wird, die auf der Suche nach Nahrungsmitteln und Energiequellen Raubbau an der Natur betreiben. So ist es, auch für Nicht-Apokalyptiker. Sieben Milliarden, das ist ziemlich viel. Deshalb gibt es immer mehr Historiker, die unsere Zeit »Anthropozän« nennen. Ein Erdzeitalter, das vom Menschen bestimmt wird, der dabei Tiere und Pflanzen ausrottet und die Erdoberfläche gewaltig verändert, neuerdings sogar das Klima und die Weltmeere.
Wir wissen schon genug
Wir können aber auch anders. Das Wissen, wie das gehen soll, ist zum größten Teil schon da. Das beste Beispiel dafür sind die von Mike Reynolds erfundenen, »Earthship« genannten Nullenergiehäuser, die überwiegend aus Abfall wie etwa Autoreifen und regionalem Material wie Lehm gebaut sind. In allen von Menschen bewohnbaren Klimazonen kann man sie bauen. Sie brauchen kein Öl und kein Brennholz, sie produzieren ihren Strom selbst, ihr Warmwasser und sogar einen Teil ihrer Nahrungsmittel. Gibt’s das? Ja, das gibt’s. Und weil das so ermutigend ist, haben wir den Schwerpunkt dieses Connection-Heftes (Ausgabe März/April 2014) hauptsächlich den Earthships gewidmet.
Erstmal regional probieren
Zurück zu La Palma und dem Landkreis Mühldorf am Inn. Ehe man weltweit eine Veränderung der Gesellschaft zu initiieren versucht, so wie die Sozialisten es gut 100 Jahre lang mit Reformen oder Revolutionen versucht haben, könnte man ja mal in einer Region etwas Neues ausprobieren: Biolandwirtschaft, Permakultur, Freiwirtschaft nach Silvio Gesell oder ein bedingungsloses Grundeinkommen. So wie damals die Gemeinde Wörgl in Tirol das fließende Geld eingeführt hat, später als »Wunder von Wörgl« bekannt, weil es so gut funktioniert hat. So gut, dass der Außenminister von Frankreich anreiste, um das mit eigenen Augen zu sehen. So gut, dass die Vermögensinhaber in der Hauptstadt Wien um ihre Rendite fürchteten und das Experiment unter Androhung des Einmarschs der Reichswehr verboten.
Initiativen von der Gewinnerseite
Heute hat sich das Bewusstsein ein bisschen weiter entwickelt. Vor allem ist das Gefühl für die Bedrohung der gesamten menschlichen Existenz auf der Erde gestiegen. Deshalb könnte heute auch diejenigen, die bei einer radikalen Veränderung von Gesellschaft und Wirtschaft etwas zu verlieren scheinen, initiativ werden, um in einer Region von der Größe der Gemeinde Wörgl, des Landkreises Mühldorf oder der Insel La Palma etwas auszuprobieren. Die sich jetzt noch auf der guten Seite der großen Kluft wähnen, haben ja auch deutlich mehr Möglichkeiten für solche Initiativen. Und bei einer weltweiten Katastrophe, wie etwa einem Zusammenbruch der Nahrungsmittelversorgung oder einer Verknappung des Wassers, würden auch sie mit in den Strudel gezogen. Gated Communities (von Sicherheitsdiensten geschützte Wohnbereiche der Reichen)? Das funktioniert auf Dauer nicht, von den psychischen Schäden auf beiden Seiten mal abgesehen.
Wolf Schneider, Jg. 1952. Autor, Redakteur, Kursleiter. Studium der Naturwissenschaften und Philosophie (1971-75) in München. 1975-77 in Asien. 1985 Gründung der Zeitschrift connection. Seit 2008 Theaterspiel & Kabarett. Kontakt: schneider@connection.de. Blogs auf connection.de und auf schreibkunst.com
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Radio-Interview mit Wolf Schneider:
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Wolf Schneider
Wolf Schneider, Jahrgang 1952, studierte Naturwissenschaften und Philosophie in München. Schon während seines Studiums begab er sich auf Reisen. Die nächsten Jahre verbrachte er in Europa und Südasien, wo er ab 1976 als buddhistischer Mönch in Thailand lebte und von 1977-1990 Schüler von Osho war. Zurück in München gründete er 1985 die Zeitschrift connection, die noch heute als connection Spirit mit der Sonderheftreihe connection Special erscheint. Seinen 2005 gegründeten Verlag mit integrierter "Schule der Kommunikation" wandelte er Anfang 2008 erfolgreich in eine AG um. Im Connectionhaus veranstaltet er Jahrestrainings unter dem Motto: "Kreativität, Kommunikation und Inszenierung". Mit seiner offenen, ehrlichen und humorvollen Art zu kommunizieren, schenkte er uns ein wunderbares Theaterstück (Zauberkraft der Sprache) und zahlreiche Bücher, die uns Leser in eine spannende Welt der Spiritualität entführen. Sein neuestes Buch: "Das kleine Lexikon esoterischer Irrtümer" erscheint im August 2008 im Gütersloher Verlagshaus.
Zusätzliche Informationen:
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»Info-Seite im Portal
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